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JMStV gestoppt – und jetzt?

Zwar wurden noch keine Stimmen im Plenarsaal in Düsseldorf abgegeben, jedoch deutet bisher alles darauf hin, dass es am 1. Januar 2011 keine Neuregelung der Alterskennzeichnung von Angeboten für das deutsche Netz geben wird. Bereits am Dienstag Abend gaben die Fraktionen von CDU, FDP und den Linken bekannt, dass sie der Gesetzesvorlage nicht zustimmen werden. Anscheinend getrieben von dieser Entscheidung positionierten sich auch SPD und Grüne gegen den JMStV. Sven Lehmann, Landesvorsitzender der GRÜNEN NRW, begrüßt diese Entscheidung:

„Grund für die Ablehnung sind die inhaltlichen Schwächen des Vertrages und die aus ihm resultierende massive rechtliche Unsicherheit. Website-Betreiber sind bereits jetzt stark verunsichert. Der Staatsvertrag hätte damit mehr geschadet als genutzt.“

Quelle: Grüne NRW

In Schleswig-Holstein wurde der Jugendmedienschutz-Staatsvertrag bereits von der Tagesordnung genommen. Die medienpolitischen Sprecher der Fraktionen, Ingrid Brand-Hückstädt (FDP) und Christian von Boetticher (CDU), gaben folgende Erklärung ab:

„Der Gesetzentwurf muss nun überarbeitet werden und die Verunsicherung von Online-Anbietern ein Ende haben. Es ist aber zu hoffen, dass ein neuer Entwurf den vorgesehenen Zweck erreicht, nämlich einen einheitlichen Schutz von Kindern und Jugendlichen vor jugendgefährdenden Angeboten in elektronischen Medien.“

Quelle: Landtag Schleswig-Holstein

Voraussichtlich wird am heutigen Tag der JMStV parteiübergreifend abgelehnt. Viele Leute aus der „Netzcommunity“ haben mit ihrer Gesprächen, Anrufen, Nachrichten und Texten zu dieser Entscheidung beigetragen. Bei den Abgeordneten führten die vielen Anfragen zu einem Stimmungswandel. Diese Tatsache ermuntert, da sich demokratische Teilhabe hier verwirklicht. Ein einfaches Erstarren des politischen Rahmens im Netz wird es jedoch nicht geben. Schon aufgrund der institutionellen Verankerung dieses Staatsvertrages wird es zu einer erneuten Vorlage des Gesetzes kommen. Der Vorsitzende der Rundfunkkommission der Länder, Ministerpräsident Kurt Beck, reagierte mit absolutem Unverständnis auf die aktuellen Ankündigungen:

”Falls die Novellierung scheitert, wird der Weg der koregulierten Selbstregulierung nicht weiter beschritten, so dass die staatliche Regulierung von oben Platz greifen wird. Basierend auf den derzeitigen rechtlichen Grundlagen werden die Jugendschutzbehörden Sperrverfügungen erlassen. Wenn das das ausgemachte Ziel der CDU in Nordrhein-Westfalen ist, sollten sie an ihrer Linie festhalten

Quelle: Landesregierung Rheinland-Pfalz

Erfreut betrachten viele Beteiligte gerade die Ablehnung. Die Ankündigung von Sperrverfügungen führt sicher nicht zu einer Beruhigung. Erst eine wirkliche Auseinandersetzung in den Parteien und die Beteiligung der vorhandenen Expertise kann zu einer angemesseneren Grundlage für die digitale Beteiligung führen.

Koalitionsvertrag NRW 2010 zur Medienpolitik

Zur Stunde entscheidet der Koalitionsausschuss im Düsseldorfer Landtag über den Jugendmediensschutz-Staatsvertrag. Hier einige Auszüge aus dem im Juli 2010 vereinbarten Koalitionsvertrag von der SPD und den Grünen:

NRW Digital – Qualität und Vielfalt ausbauen
Nordrhein-Westfalen verfügt über beste Voraussetzungen, als Medienland wieder eine Vorreiterrolle einzunehmen – quantitativ und qualitativ. Hier leben kreative und hoch motivierte Menschen, NRW hat eine dichte Hochschul- und Forschungslandschaft und innovative und innovationsbereite Unternehmen in allen Schlüsselbranchen.

Unsere Demokratie braucht eine starke, unabhängige und vielfältige Medienlandschaft, von der alle profitieren können – denn der Zugang zu Informationen und Wissen ist wichtiger denn je. Medien sind für uns immer beides: Kultur- und Wirtschaftsgut.

Zur Grundlage einer lebendigen Demokratie gehören Unabhängigkeit und Vielfalt der Medien, eine Stärkung von Bürgermedien und Blogs sowie ein Breitbandzugang für alle. Ob Fernsehen, Radio, Zeitung oder Angebote der neuen Medien: Meinungsvielfalt und Unabhängigkeit müssen Vorrang vor Meinungsmacht und möglichen Meinungsmonopolen haben. Weltweit agierende Konzerne dürfen die Meinungsvielfalt und den Zugang zu Informationen durch ihre Geschäftsmodelle nicht einschränken.

Wir werden das duale Rundfunksystem stärken. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk bleibt gerade in einer immer vielfältiger werdenden Medienlandschaft eine unverzichtbare Säule. Wir stehen zur Bestands- und Entwicklungsgarantie für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Im Internetzeitalter gehört dazu auch ein öffentlich-rechtliches werbefreies digitales Angebot im Internet als „dritte Säule“ neben Hörfunk und Fernsehen, die ebenso weitgehend werbefrei durch die Abgabe finanziert werden sollen.

Durch medienpolitische Anreize wollen wir sicherstellen, dass private Veranstalter sowohl ihrer wirtschaftlichen Zielsetzung als auch ihrer öffentlichen Aufgabe gerecht werden können. Dabei setzen wir verstärkt auf koregulierte Selbstregulierung. Zugleich wollen wir in föderaler Verantwortung das Medienkonzentrationsrecht weiterentwickeln, um beispielsweise die Meinungsrelevanz von Telemedienangeboten und die Rolle von Suchmaschinen besser zu berücksichtigen. Hierzu gehören auch die Stärkung der Beteiligungsmöglichkeiten des Landtags und der Bürgerinnen und Bürger bei medienpolitischen Entscheidungen.

(…)

Die Rechte der Nutzerinnen und Nutzer sichern
Unsere Vision eines sozial und digital vernetzten Zusammenlebens ist nicht vereinbar mit der Idee eines Überwachungsstaates. Das Recht auf Privatsphäre gilt analog wie digital. Für verbotene Inhalte gilt das Gebot „Löschen statt Sperren“. Wir setzen auf das Internet und wissen: Rechtsstaatlichkeit und auch Rechtsdurchsetzung erfolgen in allen Bereichen unseres Lebens. Das Internet darf nicht zum bürgerrechtsfreien Medium werden! Wir wenden uns gegen jede digitale Bevormundung und gegen jede Form der Zensur.

Wir wollen eine datenschutzfreundliche Verbraucherschutzpolitik umsetzen und uns zugleich aktiv an der Weiterentwicklung eines modernen Urheberrechts mit dem Ziel, Urheber zu schützen und zugleich Barrieren für Nutzerinnen und Nutzer abzubauen, beteiligen. Die Netzneutralität sollte gesetzlich festgeschrieben und die Zugangsprovider darüber verpflichtet werden, ihren Kunden Inhalte diskriminierungsfrei durchzuleiten.

Der Koalitionsvertrag ist komplett abrufbar unter:
SPD NRW
Grüne NRW

JMStV

JMStV

Die Novellierung des Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (kurz: JMStV) soll Kinder und Jugendliche vor gefährdenden Inhalten im Internet schützen. Am 10. Juni 2010 haben die Ministerpräsidenten das Änderungsgesetz zum JMStV beschlossen. Momentan wird in den Landesparlamenten, so auch in NRW, über die Annahme dieses Vertrages diskutiert. Im Kern der Debatte steht die geplante Einführung einer Alterskennzeichnung von Inhalten im Internet, die von Kritikern für inpraktikabel und Rechtsunsicherheit schaffend gehalten wird. Über Sendezeitbegrenzungen und die Vorschaltung von technischen oder sonstigen Mitteln soll das Ziel des Schutzes erreicht werden.

Den Schutz von Kindern und Jugendlichen wird kein vernünftiger Mensch anzweifeln. Nur was hier in Gesetzesform umgesetzt werden soll, ist fernab von jeglichen Realitäten. So bezieht sich der angestrebte Vertrag lediglich auf in Deutschland beheimatete Internetseiten. Über eine freiwillige Selbsteinschätzung oder durch die Dienste von Kontrollstellen, die offiziell von der „Kommission für Jugendmedienschutz“ (KJM) anerkannt wurden, soll eine Altersklassifizierung erreicht werden. Der kommerzielle Einsatz dieses Dienstes wird nicht kostenfrei angeboten werden.

Jedoch endet das Internet nicht an den Grenzen Deutschlands. Außerdem müsste geklärt werden, ab welcher Schwelle ein Angebot im Internet als kommerziell gilt (Mindestbeitrag bei der FSM: 4.000 Euro pro Jahr). Ebenfalls könnte Anbietern von Serverlösungen und Internetangeboten in Deutschland durch die Abwanderung bzw. die hohen Anforderungen ein wirtschaftlicher Schaden entstehen.

Traurig ist, dass viele gut bezahlte Personen sich mit einer wirklich schlecht ausgearbeiteten und am Ziel vorbeigehenden Gesetzesvorlage beschäftigen. Warum werden Gesetze, Novellierungen und Verträge dieses Politikbereiches nicht endlich in Kooperation mit etablierten Experten entwickelt (z.B. dem Chaos Computer Club)? So hat die allseits (un)beliebte Ursula von der Leyen mit ihrem Nichtwissen das in der Sache wirkungslose und inhaltlich schwer bedenkliche Zugangserschwerungsgesetz umsetzen wollen, welches jedoch glücklicherweise nach breiter Diskussion nicht in der vorgesehenen Form in Kraft trat.

Auch die Fraktion der Grünen in NRW hat gedacht, dass eine Umsetzung des JMStV eine kleine Kröte ist, die sie in Regierungsverantwortung zu schlucken hat. Eine Nachricht über den Account der Grünen NRW auf Twitter hat zu einem breiten Aufschrei in der Netzgemeinde gesorgt. Erst der weite und teilweise sehr schrille Protest von vielen Nutzern scheint die Umsetzung der Vertrages doch noch verhindern zu können. Sicherlich besorgt um ihre Umfragewerte sind SPD und Grüne nun schnellstens zurückgerudert und distanzieren sich von einer Zustimmung.

Sinnfreie Gesetze, die am Wählerwillen vorbeiführen, sorgen in der Art nur für eine verstärkte Politikverdrossenheit. Kommunikation über das Internet ist eben nicht bloß virtuell, sondern für den Nutzer erst einmal ganz real und konkret. Immer wieder wird mit den Neuen Medien die Hoffnung von einer Demokratisierung der Distributionskanäle in Verbindung gebracht. Gesetze und Verträge die weiterhin am Ziel vorbeiführen gefährden jedoch alle neuen Freiheiten grundlegend.

Durchregieren

Die neue Sitzverteilung des Düsseldorfer Landtags ist am 9. Mai von den verbliebenen Wählern entschieden worden. Wieder einmal dasselbe Gebären am Wahlabend. Die Parteien mit Verlusten verkaufen sich als die moralischen Gewinner. Und die wirklichen Verlierer versuchen zu erklären, dass dieses Ergebnis keinen negativen Einfluss auf ihre Beteiligungsoptionen hat. Diese Logik muss sich dem Wähler erst einmal erschließen. Jedoch kennen wir dieses Spiel ja schon zu genüge.

Am 9. Juni konstituiert sich der neue Landtag und benötigt damit auch einen neuen Ministerpräsidenten inklusive seiner Regierungsmannschaft. Die Auswahl der möglichen Koalitionen hat sich mit dem heutigen Tag auf genau Eine reduziert. Auf der einen Seite der weiteren Optionen verabschiedete sich die FDP, die sich einmal einen etwas erweiterten Freiheitsbegriff fernab der Wirtschaft erarbeiten müsste. Auf der anderen Seite schied die Linkspartei aus, die lieber ehemalige Mitarbeiter des DDR-Auslandsgeheimdienstes grüßt anstatt sich der Realität zu stellen und konstruktiv mitzuregieren. Dann also mal die Große Koalition für NRW. Durchregieren ohne gemeinsame politische Projekte. Bis zur Wahl der neuen Landesregierung muss dann aber zwischen CDU und SPD noch ein Haufen Entscheidungen getroffen werden. Wer uns dann bald als Landesvater oder Landesmutter gegenübersteht zeigt sich im Juni.